Katia.schreibt #24: Vom Soll zum Ist - das habe ich mir anders vorgestellt!
Wie ich mich gerade der annehmen-was-ist-Challenge stelle
Vor unserer Balkon-Loggia fällt der Regen wie ein Vorhang. Die Tropfen auf dem Flachdach-Bau gegenüber werden nach dem Aufprall wieder nach oben katapultiert, es sieht richtig kunstvoll aus. So geht das schon seit gestern Abend, weswegen ich seit unserer Ankunft noch kein Mal das Apartment verlassen habe. Das hatte ich mir anders vorgestellt, natürlich. Immerhin bin ich im Urlaub und im Urlaub hat die Sonne zu scheinen, vom Himmel und mir aus dem Hintern, das gehört sich einfach so.
Aber jetzt ist alles ganz anders, “Sieht nicht gut aus für euch”, hat meine Schwiegermutter direkt bei unserer Ankunft gesagt und das Wetter gemeint. Weil nach Wochen strahlenden Sonnenscheins ausgrechnet in unserer Ferienwoche Regen angesagt ist, viel Regen, viel Wind, und zwischendurch mal eine Wolkenlücke mit ein paar Sonnenstrahlen bei 15 Grad, was sich an der Küste immer deutlich frischer anfühlt. Und natürlich bin ich enttäuscht, wie ich immer enttäuscht bin, wenn die Realität mit meinem Kopfkino kollidiert, das sich diese sieben Tage Föhr ganz anders ausgemalt hat. Nämlich so wie vergangenes Jahr, als wir hier im Mai plötzlich Hochsommer hatten und die meiste Zeit in Badesachen in der Beach Bar verbrachten. Mehr Nizza als Nordsee.
Jetzt will ich nicht darüber schreiben, wie wahrscheinlich diese Verkettung glücklicher Umstände ein zweites Mal in Folge ist. Sondern darüber, wie ich mit der Enttäuschung umgehe, dass Dinge anders kommen. Denn ich bin schon mein Leben lang Profi darin, mich in einem Soll zu verbeißen und schwer mit dem Ist umgehen zu können, das meist ganz anders ausfällt als gedacht. Nicht nur im Urlaub, sondern im Leben ganz generell.
Ich hätte natürlich gern eines unter Idealbedingungen, wie gesagt, Sonne vom Himmel und so weiter, aber so ist es meistens eben nicht. Und ich verwende viel Zeit und Energie darauf, mich mit Verve darüber aufzuregen. Statt mich damit zu arrangieren, es zu akzeptieren, dass alles immer anders ist - als gehofft, geplant, gedacht. Dass Soll und Ist entgegengesetzte Pole mit wenig Überschneidung sind.
Nach einem halben gelebten Leben sollte ich allmählich wissen, dass ich vieles aus der Ist-Kategorie nicht ändern kann. Nicht das Wetter im Nordsee-Urlaub, nicht die sprunghaften Launen meiner präpubertären Kinder, nicht den Umstand, dass man den nächtlichen Kissenabdruck auf meiner Wange noch Stunden später sieht, weil die Kollagen-Produktion nicht mehr so will wie ich das gern hätte.
Das Soll ist immer besser, zumindest in meinem Kopf, mehr Sonne, mehr Solidarität, mehr Straffheit. Aber je mehr ich mich daran aufhänge, desto weniger hat das Ist eine Chance neben meiner idealisierten Fantasie zu bestehen. Je mehr ich im Kopf bin, desto weniger bin ich im Jetzt. Und das ist eigentlich schade, weil: Manchmal wird es anders schön.
So wie unser erster Urlaubstag, als es Bindfäden regnete. Und ich mich diesem unliebsamen Ist einfach ergeben habe. Es plötzlich erstaunlich gemütlich fand, mit einer Tasse heißen Tees auf der Loggia zu sitzen und die Nase in mein Buch zu stecken. Keine Energie darauf zu verwenden, frustriert zu sein, weil ich mir so sehr etwas anderes gewünscht hatte. Sondern mich mit dem Umstand zu arrangieren, ein wenig zu lesen, meinen Gedanken nachzuhängen, mit den Kindern Canasta zu spielen und abends ins Bett gekuschelt ein paar Folgen “Sirens” zu schauen. Und es gut so zu finden.
Nein, es ist nicht meine leichteste Übung. Denn ich bin eine Frau mit Plänen und viel Fantasie. Ich investiere jede Menge Zeit und Energie in Vorstellungen, die ich mit so viel Leben und Bildern fülle, dass kein großer Spielraum mehr für die Realität bleibt. Weswegen mich häufig das Gefühl beschleicht, das Leben meint es nicht so gut mit mir, weil es mir nicht dauernd schön ausgeleuchtete Hollywood-Momente nach meinem inneren Drehbuch schenkt, sondern Art-House-Augenblicke, geskriptet vom Leben selbst.
Dem kann ich nur entkommen, wenn ich die Dinge ohne große Idee und Vorwegnahme auf mich zukommen lasse. Wenn ich sie nicht gleich in Relation setze, mit einem besser oder anders, sondern sie annehme, wie sie sind. Um dann ohne Vorbehalte das Beste daraus zu machen. Und womöglich merke, dass einem die Sonne auch aus dem Hintern scheinen kann, wenn ihr Pendant nicht vom Himmel strahlt.
Ich nenne es gerade meine annehmen-was-ist-Challenge. Die Wackelzahn-Pubertät meines Jüngsten? Kann ich mich drüber aufregen, aber dann wären wir schon zu zweit und die Stimmung noch mieser. Die Auftragslage ist mäßig? Kann man ätzend finden, aber vielleicht schenkt es mir auch Raum für andere Projekte. Meine Augenringe verhageln mir morgens den Blick in den Badezimmer-Spiegel? In spätestens einem Jahr werde ich nostalgisch und neidvoll auf mein Ist-Anblick von heute zurückschauen.
Ich merke gerade, wie befreiend es sein kann, nicht auf jede Provokation einzusteigen, die ich mit meiner Idee vom idealen Soll-Zustand selbst kreiert habe. Dem Ist mehr abzugewinnen, führt auch dazu, der Neugier wieder mehr Raum zu geben. Was passiert, wenn ich mir nichts vorstelle, nichts plane, nicht festgefahren bin in Ideen und Vorstellungen. Sondern mich einfach der Situation hingebe. Das hat definitiv Potenzial. Auch fürs Karma. Als Belohnung für meine annehmen-was-ist-Anstrengungen hat auf Föhr entgegen aller Annahmen übrigens dann doch häufiger die Sonne geschienen.
Acceptance doesn’t mean resignation; it means understanding that something is what it is and that there’s got to be a way through it.
Michael J. Fox, Schauspieler
Fünf Dinge, die mich happy machen
Eure Wertschätzung: Natürlich mach’ ich mir vorher Gedanken, welche Geschichten bei euch auf Anklang stoßen könnten - vor allem, wenn ich einmal monatlich das freiwillige Abo freischalte. Bis eben gerade war ich fest davon überzeugt, dass heute der erste Samstag des neuen Monats ist - aber scheinbar ist mein Hirn im Urlaubsmodus. Doch auch, wenn heute tatsächlich erst der letzte Tag im Mai ist: Ich freue mich trotzdem über eure Unterstützung meiner Arbeit. Und der nächste Reminder kommt dann erst im Juli. Gebt, wenn und was ihr mögt - ihr macht mich damit sehr happy.
Katia.schreibt ist eine Mitten-im-Leben-zwischen-den Stühlen-Kolumne mit Texten zwischen Mama-Wahnsinn und Wechseljahrs-Punk und erscheint jeden Samstag morgens zum ersten Kaffee. Weil schreiben nicht nur meine Leidenschaft, sondern auch mein Beruf ist, freue ich mich über alle, die meine Arbeit mit einer Spende unterstützen mögen.
Yoga Town: Auch bei meiner Urlaubslektüre habe ich mich von festgefahreren Vorstellungen gelöst - und mich einfach dem Moment ergeben. Weswegen ich doch nicht Carley Fortunes neuesten Candy-Roman gelesen habe, sondern lieber Daniel Specks “Yoga Town” über den Hippie-Trail Ende der 60er nach Indien - und mittendrin vier Twenty-Somethings und die Beatles mit ihrem Guru. Sehr süffig und sehr filmisch erzählt - würde ich auch sofort als Mini-Serie schauen!
Neue Sounds, smooth Edition: Komme bei den ganzen Neuerscheinungen gar nicht hinterher. Sehr gefreut habe ich mich über das neue Bon Iver-Album “Sable, fable” - der etwas schratige US-Amerikaner ist ja ein Meister des Lo-Fi-Folk und immer der perfekte Soundtrack für stille Momente, in denen man seinen Gedanken nachhängt. Der Mood passt auch hervorragend zum neuen Wallners-Album “End of Circles”, das etwas sehr Träumerisches hat. Mehr von dieser Welt ist das kommende Album von Joy Crookes, “Juniper”, das leider erst im September mit allen Songs erscheint, hier gibt’s die ersten Tracks. Liebe ihren Style und ihren Soul sehr - auch live! Im November geht sie auf Tour.
Max & Joy: Im September freue ich mich schon riesig auf das Konzert von Max Herre und Joy Denalane im Hamburger Stadtpark (beste Konzert-Location im Sommer!) - und sehe gerade, dass in der ARD-Mediathek eine dreiteilige Doku über die Helden meiner Twen-Jahre läuft: Max & Joy - Komm näher. Muss ich sehen!
ZEITmagazin Wochenmarkt: Ich kann gar nicht verstehen, warum das fantastische Kochmagazin von Elisabeth Raether bislang an mir vorbeigegangen ist. Ich vermute, weil ich keine Lust auf das 745. Kochmag hatte mit den ewig gleichen Ideen. Aber dieses Heft ist anders. Es hat so viele gute Geschichten, die ich fast spanneder finde als die wirklich guten Rezepte, die ebenso simpel wie yummie sind und mir in unserem Urlaub bereits viel Inspiration geliefert haben: Grünes Risotto mit Gremolata, Tartiflette (die französische Art, Kartoffel und Käse im Ofen zu etwas umwerfend Leckerem zu verschmelzen) oder Mangold-Puffer mit Feta. Mmmhhh.
Alles Liebe, bis nächsten Samstag,
Katia
P.S.: Wenn ihr unten auf das Herz klickt, geht meines so richtig auf und ganz nebenbei helft ihr damit auch noch anderen, meine Texte zu finden. Mille Mercis!
Hi Katia!
Für Kontrollmenschen ist es immer schwer, sich mit Dingen abzufinden, die man sich ganz anders vorgestellt hat... ich kenne mich da bestens aus. Auch bei all dem Wissen und der vermeintlichen Weisheit darüber, ist es im Alltag immer schwer, sich in konkreten Situationen damit abzufinden. Liebe Grüße und Dir eine gute Zeit!!!
Andrea
Liebe Katia, du sprichst mir aus der Seele…. Kenn ich sehr gut, da ich auch immer am planen bin und gern die Kontrolle habe ;-) und danke für Musik- und Buchtipp!