Katia.schreibt #28: Die Schönheit des Egal
Die Weite der Hosen, die Form der Augenbrauen - alles irgendwann schnurz. Wie herrlich!
Ich bin jetzt in der Egal-Phase des Lebens angelangt. Skinny oder Baggy, Nike Air oder New Balance, Straight oder Fluffy Brows - alles egal. Finden zumindest meine Kinder, weil: Ich bin in ihren Augen weit jenseits eines Alters, in dem man sich durch Accessoires in irgendeine Coolness-Liga katapultieren könnte.
Ich bin alt, wie Eltern nach Dafürhalten ihres Nachwuchses immer uralt sind - ob ich früher mal einen Dino gesehen hätte, hat mich mein Jüngster schon vor Jahren mal gefragt. Habe ich nicht, aber ich hatte einen Sony Walkman und sorgfältig kuratierte Mix-Tapes, was aus der Sicht eines Siebenjährigen nicht allzu weit weg davon scheint.
Aber als Kind findet man alles jenseits von Mitte 20 alt, immerhin das verändert sich nicht. Wobei mir gerade kürzlich aufgegangen ist, dass ich von zu Hause ausgezogen bin, als meine Mutter im gleichen Alter war ich es jetzt bin. Dass sie also eine ziemlich junge Mutter war im Gegensatz zu mir, die mit kurz vor 50 noch einen Erstklässler zu Hause hat. Und dennoch fand ich meine Eltern als Kind pauschal alt, weil Eltern eben in dieser Liga spielen, in der sie gleichzeitig allwissend weise und super peinlich sind.
Das mit dem peinlich hatten wir hier auch schon gelegentlich am Weird-Wickel, aber gerade bin ich meistens eher egal. Also nicht unbedingt ich als Person, eher die gelegentlichen Anstrengungen, die ich unternehme, um mein mittelaltes Ich zu erfreuen. Stichwort Style, siehe oben. Als ich kürzlich ein schönes Maxisommerkleid aus dem Schrank holte und mich darin erstaunlich selbstzufrieden vorm Spiegel drehte, begutachtete mich meine Mittlere mit prüfend zusammengekniffenen Augen und verkündete dann ihr Urteil: “Eigentlich trägt man man heute keine Kleider mehr. Aber du kannst das anziehen, zu dir passt das irgendwie.” Weil es EGAL ist, das hat meine Tochter zwar nicht gesagt, aber das war der unmissverständliche Subtext.
Und klar trifft das einen Nerv, weil das ja die generelle Krux in unseren Vierzigern ist: Die Angst davor, dass man egaler wird. Nicht nur als Style Council, sondern in so vielen Momenten des Lebens. Keiner dreht sich auf der Straße mehr nach einem um, es sei denn, man bleibt am Kantstein hängen und fällt bäuchlings hin, aber das will man ja lieber nicht. Auf dem Arbeitsmarkt ist die nahende 50 auch nicht unbedingt DER Türöffner und dass die Beauty-Branche mich plötzlich heftig umwirbt, ist für mein zusehends knittriges Ego auch nicht immer hilfreich.
Denn natürlich will ich nicht nur für Anti-Age-Marketing-Profis interessant sein. Ich will, dass das, was ich trage, sage, denke, tue relevant ist, und zwar am liebsten für alle Altersklasse, nicht nur für die U60-Bubble. Denn ist das Egal nicht der Anfang der Unsichtbarkeit, die als Schreckgespenst mit im Raum steht, sobald man plötzlich mittelalt ist? Ist das Egal nicht am Ende der Anstoß zur unumgänglichen Midlife Crisis?
Aber weil die Welt gerade genug Krisen hat, als dass noch eine aus der Mitte des Lebens reinpasst, habe ich lieber schnell über Krise als Chance nachgedacht. Was wäre, wenn das Egal kein Dolchstoß, sondern vielmehr der Freifahrtschein für den Rest meines Lebens wäre? Weil: Wenn’s keinen mehr interessiert, was man so treibt, kann man doch auch richtig auf die Kacke hauen, oder? So betrachtet hat das Egal eine Schönheit, von der ich vorher nichts geahnt habe.
Ich meine: Wie viel Zeit habe ich in Summe schon damit zugebracht, mir auszumalen, was X. von mir denkt und ob Y. gut findet, was ich tue. Und ob Z. vielleicht komisch guckt. Wie befreiend, sich darum nicht mehr zu scheren! Kein soll ich, darf ich, frag ich, sondern einfach machen. Skinny tragen, Bikini wagen, auch mit Bäuchlein. Laut sein, hier schreien, fuck-the-Falten, hier komm ich.
Die Erfahrungen von bummelig 50 Jahren Lebenszeit sind nie egal, zumindest nicht für mich. Sie sind es, die meine Coolness ausmachen. Mein Wissen, meine Fehler, mein Weg - weil ich das Leben in all seiner Schönheit und Hässlichkeit kenne, darf MIR jetzt vieles getrost egal sein. Aber das heißt nicht, dass ich es bin.
Übrigens konnte ich bei meiner Tochter kürzlich dann doch punkten - mit meiner pinken Breitcord-Schlaghose, die zu meinem signature-Hippie-Look seit Teenie-Zeiten passt. “Mama, die ist so cool so eine will ich auch”, seufzte meine Neunjährige sehnsüchtig. Zumindest für meine Kinder bin ich noch nicht komplett unsichtbar. Mehr noch: Mitunter noch nachahmenswert. Vermutlich werde ich nie weiter in ihrer Coolness-Liga aufsteigen als jetzt.
Wir glauben, Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns.
Eugène Ionesco, Autor
Fünf Dinge, die mich happy machen
Für immer Freibad: Logisch, dass ein Film mit DEM Titel genau meiner ist! Die Story: Simon hat das Abi in der Tasche und einen Plan, Jurastudium, Familie, Haus. Aber dann kommt ihm das Leben in Gestalt von Mira in die Quere - und kurzentschlossen heuert er für den Sommer seines Lebens im Freibad an. Coming-of-Age geht einfach immer. Könnt ihr hier in der ZDF-Mediathek schauen
Wordle: Sudoku, Kreuzworträtsel - alles nicht meins. Umso erstaunlicher, dass ich gerade total im Wordle-Fieber bin. Jeden Tag muss man ein Wort mit fünf Buchstaben erraten - in sechs Versuchen. Bin bei Spiegel Online drüber gestolpert, ist gerade mein daily Gehirnjogging.
Grüße vom Mars: Feiere ja immer coole Kinderbücher. Grüße vom Mars haben meine Kids an ihrer Grundschule gelesen und waren sehr begeistert. Lesen mein Jüngster und ich aktuell abends immer im Wechsel - und lachen uns krumm! Der Plot: Tom ist zehn und braucht viel Struktur und seinen Raumanzug, weil ihm die Welt oft zu viel ist. Als er mit seinen beiden älteren Geschwistern für vier Wochen bei Oma und Opa einziehen muss, wird’s ziemlich chaotisch… Lief auch gerade im Kino, kommt vermutlich im September als DVD und als Stream bei Amazon Prime.
Waldbaden: Auch wenn ich jetzt hinterm Elbdeich wohne - im Herzen bin ich ein Waldkind. Merke ich immer. wenn ich Samstag früh zum nahen Birken- und Kiefernwäldchen fahre und dort meine Hallo-Wochenende-Laufrunde drehe. Das satte Grün, die Sonnensprenkel, die durchs Laubdach fallen, die schöne Luft - Liebe alles daran. Fühlt sich für mich auch immer ein wenig wie Urlaub an.
Lichtungen: Einer dieser kleinen, großen Romane, die sich ins Herz brennen, weil Sprache und Story so magisch sind. Lev und Kato kennen sich seit ihren Kindheitstagen aus Rumänien - und sind Freunde mit einem besonderen Band, auch wenn Kato schon bald Richtung westliches Europa aufbricht. Eines Tages erreicht Lev eine Karte mit der Frage “Wann kommst du?”. Lichtungen erzählt eine zärtliche Geschichte über Freundschaft und Erwachsenwerden, über die Entscheidungen, die uns prägen und welche Lücken unsere Herzen darin finden.
Alles Liebe, bis nächsten Samstag,
Katia
P.S.: Wenn ihr unten auf das Herz klickt, geht meines so richtig auf und ganz nebenbei helft ihr damit auch noch anderen, meine Texte zu finden. Mille Mercis!
Herrlich Dein Artikel...
Den Freibadfilm hab ich gleich geschaut.
Danke dafür. Hat Spaß gemacht.
Ich war heute im Freibad mit Freibadpommes...
Ein Traum...und egal ist genau richtig dafür. Mir ist mittlerweile auch mehr egal als früher.
Ach Katia, wieso glaubst du immer, es würde sich niemand mehr nach dir umdrehen? Ich denke, du musst einfach nur die Location ändern. Vielleicht ist es im Umfeld von jüngeren Leuten in der Großstadt etwas anders, aber geh doch mal auf ein Fest auf dem Land, sowas wie Schützenfest, Kirmes, Wiesn oder wie immer es bei euch heißt. Ich wette mit dir, die inzwischen wieder auf der Suche seienden Mit- Vierziger und Aufwärts schauen, wer da so flott auf der Tanzfläche unterwegs ist ;) und etwas "egal" ist immer super, denn wie lautet der uralte Spruch, " ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!" Ich stell mich auch mit 50 noch auf die Bank, wenn die Musik so richtig gut ist! Spätestens dann wird geschaut ;) Auf den Sommer, aufs Leben! Der Rest ist schon anstrengend genug. LG