Katia.schreibt #31: Lost in Transformation
Warum die 40er ein einziges Change Management in eigener Sache sind
“Transformation? Change mich am Arsch!” Liebe immer noch, dass ich eine Business-Kolumne derart krawallig betiteln durfte. Damals habe ich als Redakteurin in einer Agentur für Interne Kommunikation und Change Management gearbeitet und viel darüber geschrieben, dass Wandel in Unternehmen unumgänglich ist: Wer zukunftsfähig bleiben will, muss die Transformation umarmen. Aber bitte nur mit der passenden Strategie und den richtigen Leitplanken, damit die Mitarbeiter auch mitziehen und nicht entnervt die innere Kündigung einreichen.
Foto: Markus Spiske/Unsplash
Schräg, dass ich in diesem Szenario gerade so viele Parallelen zu meinem jetzigen Leben finde: Mit Mitte 40 stecke ich knietief in einem persönlichen Changeprozess, der nicht nur langwierig ist, sondern auch noch alle Gewissheiten meines bisherigen Seins auf links dreht: Meine Rolle als Frau und Mutter, meinen Platz in der Welt und was war noch mal die Vision meines Lebens…?
Zukunftsfähig? Ich bin gerade nicht mal besonders alltagstauglich, weil ich dauernd und immerzu alles in Frage stelle und zwar in endlosen Kreisbewegungen: Soll ich mich mit 47 neu erfinden? Mir lieber wieder einen festen Job suchen, endlich meinen Roman schreiben oder doch noch mal Elternzeit einreichen, weil: Die Kinder werden gerade so verdammt schnell groß…
Ich bin lost in Transformation und stolpere der Entwicklung meines Lebens gerade hinterher, statt selbstbewusst Schritt zu halten. Von mir aus kann sich die Veränderung derzeit gehackt legen - sich parallel mit den Wechseljahren rumzuplagen, sich in einer Ageism-Arbeitswelt zu behaupten und nach 13 intensiven Eltern-Jahren zu sich selbst zurückzufinden, verlangt mir gerade ziemlich viel ab. Innere Kündigung? Bin dabei! Dumm nur, dass ich nicht den Laden wechseln kann, der mein Leben ist.
Dieses Jahrzehnt rüttelt mich durch wie bislang keines zuvor, es gab irgendwann einen Anfang, aber bislang kein absehbares Ende und strategisch läuft hier gerade gar nix. Leitplanken sind ein frommer Wunsch: An manchen Tagen bin ich schon froh, dass ich weiß, wie ich heiße, wenn ich schon nicht weiß, wer ich bin.
Mir ist schon klar, dass Leben nicht Stillstand ist, sondern dass es weitergeht, unaufhörlich, dass wenig Bestand hat und Anpassung nicht ohne Grund fest in der Evolutionstheorie verankert ist. Ehrlicherweise würde ich meinen Change-Prozess auch lieber so richtig abfeiern mit Konfetti und Hurra, mich als jemand präsentieren, der dem allen problemlos gewachsen ist - allein: Ich fühl’s nicht. Was ich derzeit empfinde, ist oft Verwirrung, Überforderung und latente Panik angesichts der Themen, die das Leben in der Mitte so mit sich bringt. Selbstverwirklichung, alte Eltern, Rentenlücke - you name it.
Auf der Suche nach Antworten kaufe ich mir plötzlich Ratgeber-Literatur, bin gerade sehr anfällig für Teebeutel-Weisheiten (“Schwierige Strassen führen zu wundervollen Zielen”) und für Anfragen halbseriöser Coaches, die mir das Blaue vom Himmel versprechen und denen ich in Verkaufsgesprächen meine halbe Lebensgeschichte offenbare. Ich stand schon mal auf festerem Boden.
Lange war ich überzeugt, dass die Pubertät schwer zu toppen ist, in der kein Stein auf dem anderen bleibt, wo Körper und Kopf Sachen machen, die wir uns nicht ausgesucht haben. Aber diese 40er-Jahre-Veränderung ist gerade noch umwälzender. Vielleicht, weil wir schon ein wenig mürbe und müde sind von den gelebten Jahren, nicht mehr so euphorisch, weil wir eben nicht mehr am Anfang von allem stehen, sondern im hinteren Mittel, was noch so eine Art Torschlusspanik befeuert, weil: Jetzt wird’s allmählich ernst, das mit dem Leben endlich auf die Kette zu kriegen! Lieber schnell den richtigen Weg einschlagen, also den zu Zufriedenheit, Gelassenheit und Erfüllung. Derzeit navigiere ich allerdings eher noch durch den Einbahnstraßen-Dschungel meiner Orientierungslosigkeit.
Woran mein Change gerade hakt? Es gibt kein richtiges Ziel. Alles ist viel zu diffus und schwammig, drölfzig Veränderungsideen stehen sich gegenseitig im Weg und mein zwiegespaltenes Ichs ist nicht wirklich motiviert, den steinigen Weg zu gehen.
Aber dann denke ich: Vielleicht ist diese Umwälzung trotzdem genau gut. Dass Klarheit erst findet, wer vom Chaos die Schnauze voll hat. Dass schwierige Straßen eben doch zu wundervollen Zielen führen. Wenn ich mich denn auf eines festlegen könnte. Denn Fokus ist derzeit auch so eine Sache. Aber ich bin dran. Lese jeden Abend ein Kapitel aus dem schlauen Sachbuch “Leider nicht unsterblich” von Oliver Burkeman und markiere inspirierende Gedanken wie diesen: “… wenn man heute etwas Sinnvolles tun will, (muss man) auf ein gewisses Maß an Kontrolle verzichten. Es bedeutet, dass man nicht im Voraus weiß, ob man es gut machen wird…”
Für mich ein wichtiges Konzept, schließlich war ich schon immer eine Frau mit Ansprüchen - und wenn ich mich schon verändere, dann doch bitte auf Premium-Niveau! Dumm nur, dass mich meine eigene Erwartungshaltung furchtbar unter Druck setzt und mir die Lässigkeit fehlt, die dem Zeitgeist-Credo von “einfach machen” innewohnt.
Mir hilft daher gerade mehr die Idee kleiner Schritte statt großer Sprünge. Ich versuche zu wertschätzen, was ich täglich tue, anschiebe, rocke - auch wenn es nicht der ganze große Wurf ist, den man reflexhaft auf Social Media bejubelt. Ich setze mir machbare Ziele, weil mir das große Ganze gerade einfach zu viel auf einmal ist.
Außerdem versuche ich wieder mehr zu schreiben - nur für mich, weil mir das in den wildesten Zeiten meines Lebens immer geholfen hat, den Gedanken- und Gefühlswust nach und nach zu entwirren. “In einem Jahr wirst du anders auf diese Zeit zurückblicken”, sagte mir kürzlich eine Freundin. “Du wirst sehen, wie viel weiter du gekommen bist, dass sich vieles zum Besseren verändert hat.” Ich hoffe, sie behält Recht. Bis dahin muss ich einfach versuchen, Schritt für Schritt mit der Veränderung gehen. Bis ich mich so sehr an sie gewöhnt habe, dass ich sie am Ende vielleicht sogar umarmen mag. Wie geht’s euch gerade?
PS: Die eingangs erwähnte Business-Kolumne könnt ihr übrigens hier nachlesen.
In drei Worten kann ich alles zusammenfassen, was ich über das Leben gelernt habe: Es geht weiter.
Robert Frost, Dichter
Fünf Dinge, die mich froh machen:
Sommerbücher: Wenn mein Kopf zu sehr im Gedankenkarussell rotiert, liebe ich kleine Fluchten in meine Bücher. Just habe ich mir diese fünf für die Sommerferien besorgt und direkt mit “Und dahinter das Meer” losgelegt. Gefällt mir sehr: Die elfjährige Bea wird aus dem kriegsgeplagten London nach Boston in eine Gastfamilie verschickt - und lernt ihr neues Leben dort so lieben, dass der Gedanke an die Rückkehr in ihre Heimat immer fremder wird. Zumal sie Gefühle für ihren Gastbruder William entwickelt... Nicht im Bild, aber auf meiner unbedingt-auch-bald-lesen-Liste: “Strandgut” von Benjamin Meyers (“Offene See”) über einen ehemaligen Sänger, der auf einem Soul-Festival überraschend eine zweite Chance bekommt. Und “Ungebetene Gäste” von Ayelet Gundar-Goshen, deren Romane “Löwen wecken” oder “Wo der Wolf lauert” ich schon atemlos verschlungen habe.
Herzhafter Zucchini-Kuchen: Ich bin eine deutlich bessere Köchin als Fotografin, daher glaubt mir: Der Batzina - ein herzhaft griechischer Kuchen mit Zucchini, Feta, sehr vielen Kräutern und obenauf großzügig mit Sesam bestreut - schmeckt fantastisch! Dazu ein grüner Salat und der Lunch ist perfekt. Rezept gibt’s zum Beispiel hier. Habe jetzt Griechenland auf meiner bald-zu-bereisen-Liste, weil ich Urlaubsländer auch immer nach der leckeren Küche auswähle…
Der Salzpfad: Auch wenn ich gerade lieber lese als streame - wenn es dauernd regnet, mag ich auch mal wieder ins Kino. Für “Der Salzpfad” würde ich das sogar bei Sonne tun: Der Film erzählt die wahre Geschichte eines Ehepaars (u.a. die großartige Gilian Anderson), das alles verloren hat - und aus Verzweiflung auf einer 1000 Kilometer langen Wanderung dem Leben alles abringt.
Ferienvorfreude: In drei Wochen geht’s endlich los nach Bornholm - freue mich schon so sehr"! Lese mich gerade in Sachen Tipps ordentlich ein, zum Beispiel hier und hier oder bei Ohhhmhhh (allerdings nur im Abo). Weil es unser erstes Mal auf der dänischen Sonneninsel ist: Habt ihr noch mehr Gehimtipps? Bin dankbar für jeden.
Ein Song reicht: Ich lasse mich ja sehr gern von Musik inspirieren - deswegen habe ich mich gerade beim Newsletter “Ein Song reicht” angemeldet: Jeden Tag bekomme ich einen sorgfältig kuratierten Song zugeschickt, um meinen Sound-Horizont zu erweitern. Mag ich!
Alles Liebe, bis nächsten Samstag,
Katia
P.S.: Wenn ihr unten auf das Herz klickt, geht meines so richtig auf und ganz nebenbei helft ihr damit auch noch anderen, meine Texte zu finden. Mille Mercis!
Ich kann Dich gut verstehen. Ich bin nun 52 geworden und habe mich die letzten 5 Jahre transformiert. Ich habe mich mit dem Glück beschäftigt, was macht den Menschen zufrieden, über die positive Psychologie, die Sicht der Philosophen und die Neurowissenschaften. Das war inspirierend und ich habe tanzen für mich entdeckt, und mich getraut zum Pole Dance Kurs zu gehen. Alles sehr befreiend🍀 achtet auf Konditionierung und Prägung. Ausserdem wurde ich zur Feministin😎😜
Unterschreibe alles + Familienkonstellation mit Sonderpäckchen, ich habe mir den Slogan verordnet "Aufgeben ist keine Option" drücke dir die Daumen + viel Kraft, und am besten vor dem Ende der Kraft- externen Support suchen.