Katia.schreibt #05: Ist Landlust endlich?
Mit kleineren Kindern ist das Leben auf dem Land ein bullerbügetränkter Traum. Wenn sie älter werden, wird das Konzept weit-weg-von-allem zur Herausforderung.
Mama-Taxi all-day-long (und bald auch nachts!)
Kürzlich bin ich bei uns auf dem Dorf eine Runde spazieren gegangen. Die Sonne schien verhalten norddeutsch durch die Januarwolken, ich lief den Weg zwischen den Feldern entlang und hielt meine Nase in die frische Luft, die vage nach Dung roch. Warum ich das erzähle? Weil es so besonders ist. Also mittlerweile.
Man könnte ja meinen, wer wie ich auf dem Dorf wohnt, sei täglich im Grünen unterwegs, um die Ruhe, die Abgeschiedenheit, die Schönheit der Natur zu feiern. Um sich wieder und wieder zu beweisen, weswegen man der Stadt einst den Rücken gekehrt hat. Die Wahrheit ist bloß:
Meistens sitze ich im Auto und betrachte die Elbmarsch der norddeutschen Tiefebene aus der Frontscheibe unseres Vans heraus.
Weil ich permanent Kinder von A nach B karre, weil ich Einkäufe in Pandemie-Dimensionen transportiere und kaum, dass ich wieder zu Hause bin, schon wieder los muss, das nächste Kind einsammeln. Und nein, das sind keine Wege, die man mit besserer Planung auch mit dem Lastenrad bewältigen könnte. Denn wir reden hier wirklich von Dorf, auch wenn Hamburg City nur 40 Minuten entfernt ist - mit dem Auto versteht sich.
Hier draußen fährt einmal die Stunde ein Bus und garantiert nie in die Richtung, die man theoretisch gerade bräuchte. Seitdem die Kinder recht rege im Hobby-Game tätig sind, fahre ich deshalb täglich absurd viele Kilometer in benachbarte Dörfer und Stadtteile und wieder zurück, um sie zum Turnen/Fußball/Tanzen und zu Playdates zu karren. Das hatte ich alles nicht bedacht, als wir mit unserem ersten Baby trunken vor Hormonen und Landliebe-Plänen von St. Pauli auf dieses Dorf zogen, das so schön weit weg von Stadt und Trubel und allem war.
Und jetzt so verdammt weit weg von allem ist, was in unserem Alltag eine wiederkehrende Rolle spielt.
Aber damals hatte ich nur ein Kind, lief unermüdlich die Deiche auf und ab, genoss die Landschaft und feierte täglich unsere Entscheidung, dass wir es unserem Sohn ermöglichten, als freies Landkind großzuwerden. Dass die Konsequenz aus diesem Konzept hieß, für alle Besorgungsfahrten ein Auto zu benötigen, plötzlich akribisch geplante Wocheneinkäufe zu tätigen, weil hier außer Feldern und Kühen nicht viel gebacken ist, nicht mal ein Hofladen - das hatte ich in all den Landlust-Artikeln wohl überlesen.
Aber zunächst mit einem und ein paar Jahre später dann mit zwei kleinen Kindern fand ich das alles meist recht unproblematisch. Vermutlich, weil sich das soziale Leben weitestgehend im direkten Umkreis abspielte. Denn Kita und Grundschule immerhin sind direkt im Dorf - und die daraus resultierenden Kontakte auch. Ich liebte unsere riesige Wohnung auf einem Resthof und den dazugehörigen Garten, in den ich dauernd andere Mütter und ihre Kinder zu Kaffee und Klackermatsch lud.
Ich war fast ein bisschen besoffen von diesem Bullerbü-Idyll, das immer mein großer Traum gewesen ist.
Insgeheim belächelte ich die befreundeten Spielplatzmütter in der Stadt, die täglich mit riesigen IKEA-Tüten auf innerstädtischen Rutscharealen ausharrten, Windeln, Müsliriegel, Schnuller und XXL-Kaffeebecher immer im Anschlag. Ich hingegen musste nur die Tür öffnen - und meine Kinder purzelten von der Haustür direkt in die eigene Sandkiste oder erklommen das nebenstehende Schaukelgerüst, während ich bunte Stauden in Blumenbeete pflanzte. Ich war ganz schön glücklich damals.
Das alles ist jetzt knapp zehn Jahre her. Das erste Kind kratzt mittlerweile an der Teenie-Marke und hat einen erheblich größeren Radius als damals: Fußball-Taining, Turniere, weiterführende Schule in der Stadt. Die Sandkiste ist jetzt ein Beet, der Garten ein anderer und Blumen pflanze ich höchstens noch in gestohlenen Minuten zwischen zwei Mama-Taxi-Terminen.
Leben mit kleinen Kindern auf dem Land ist ein gänzlich anderes als mit großen.
Und vielleicht erzähle ich das gerade so in aller Deutlichkeit, weil ich viele Menschen kenne, die immer noch den Landtraum träumen. Die damit hadern, nie den Absprung aus der Stadt aufs Land gefunden zu haben. Tröstet euch: Das Landidyll mit Kindern ist endlich. Denn so, wie sie in rasender Geschwindigkeit der Kindheit entwachsen, entwachsen sie auch Bullerbü. So beschauliche zunächst die Dorf-Welt sein mag - irgendwann ist sie eher beengt. Vor allem für die Bedürfnisse älterer Kinder.
Die eben nicht mehr damit zufrieden sind, jeden Tag auf den Bolzplatz zu gehen oder ziellos mit dem Fahrrad die Deiche rauf und runter zu fahren. Die wollen zu McDonald’s! Ins Kino! Oder wenigstens ins Schwimmbad! Dumm nur, dass beinahe jeder Weg die freundliche Unterstützung von uns Eltern bedeutet. Alles Aktivitäten, die allein aufgrund der Entfernung zu Halbtagesausflügen mutieren.
Mir graut ehrlicherweise schon davor, wenn die Kinder anfangen, auf Partys drei Dörfer weiter zu gehen. Was nämlich für mich oder den Mann heißt: Mitten in der Nacht aufstehen (oder gleich ganz wach zu bleiben), um das Kind sicher nach Hause zu befördern. Eine Freundin in ihren Anfang 50ern hat deswegen gerade wieder so einen unterbrochenen Schlaf wie zuletzt mit Kleinkind, weil sie jedes Wochenende nachts durch die Gegend gondelt, um ihre Tochter nicht morgens um zwei auf dem Acker stehen zu lassen. Um zu verhindern, dass sie gegen alle elterlichen Ratschläge doch in ein Auto/auf ein Mofa/ein Quad (gibt’s hier wirklich!) steigt, dessen Fahrer weit entfernt von nüchtern ist. Über dörfliche Gepflogenheiten von Scheunenfeten und Rum-Cola stand in den Landmagazinen damals irgendwie auch nichts.
Es verändern sich ja übrigens nicht nur die Bedürfnisse der Kinder. Meines ist auch nicht mehr das gleiche wie noch in der Kleinkind-Bubble.
Mittlerweile beneide ich meine urbanen Freundinnen wieder, die nur aus der Haustür fallen müssen, um sich in ein nettes Café oder Restaurant zu setzen. Oder kurz im Discounter ums Eck die vergessene Sahne besorgen können - ohne dafür eine Dreiviertelstunde unterwegs zu sein. Manchmal fühlt sich die leere Landschaft hier ein wenig nach Ödnis an, wenn es nicht Weite ist, nach der ich mich sehne, sondern Wellness im Day-Spa.
Ich vermisse mittlerweile häufiger die Infrastruktur einer Stadt, die es mir schnell und ohne große Planung ermöglichen würde, ins Kino, ins Theater, auf Konzerte zu gehen. Häufiger meine alten Freunde zu sehen, die sich so selbstverständlich zwischen Kneipe und (Sub-)Kultur bewegen. Die sich das einmal-im-Vierteljahr-ins-Kino-Date nicht rot im Kalender markieren, weil es für sie Usus ist.
Denn mit zunehmendem Alter der Kinder hat sich auch mein Bedürfnis nach Aktion außerhalb von Haus, Garten und Turnhalle vergrößert. Nach mehr Input für mich und mein Erleben der Welt. Immerhin habe ich mich viele Jahre meines früheren Lebens genauso natürlich in diesem urbanen Lifestyle bewegt, der mir gerade so fehlt.
Vielleicht ist Landlust aber auch eine Frage der Jahreszeit.
Denn Winter auf dem platten Land in Norddeutschland kann ganz schön trist sein. Fifty Shades of Grey. Es ist immer wieder in der Dunkelzeit zwischen November und März, in der ich mit unserem Lebenskonzept hadere. Klar, trüb ist es in Hamburg dann auch. Aber dort ist es ab fünf Uhr nachmittags nicht so absolut finster, dass man die Hand kaum noch vor Augen sieht und das Gefühl bekommt, mehr oder minder allein auf der Welt zu sein. Wie sagte mal jemand so schön, kurz nachdem wir rausgezogen waren: “Im Winter braucht man hier viel Alkohol.”
Meine Haltung zum Landleben ändert sich meist mit dem Stand der Sonne: Im Sommer schlage ich jeden City-Trip zugunsten von Gartenzeit auf dem Day Bed aus, fahre ich lieber ins nahe Freibad als in die neue Fotoausstellung. Die hellen Monate hier feiere ich immer noch sehr - auch mit den Freunden aus der Stadt. Die ihre eigene Landlust dann bei Stippvisiten mit uns ausleben.
Mit dem Wissen von heute frage ich mich manchmal, ob wir nicht auch mit unserem Wochenendhaus-Modell glücklich geworden wären, wie wir es vor den Kindern im Wendland hatten. Dann wären die Kinder urban aufgewachsen - und an den Wochenenden hätten sie sich als Dorfkids ausprobieren können. Das beste aus beiden Welten. Wäre das das eigentliche Ideal gewesen? Viel zeitgemäßer als Bullerbü-all-day-long? Wir haben uns damals bewusst dagegen entschieden, weil wir unter anderem nicht so viel pendeln wollten. Die Fahrerei haben wir dafür eben jetzt.
Meine Kinder sind übrigens nach wie vor happy hier draußen
Die stört das ganze Gegondel bislang nicht, all die Zeit, die sie im Auto oder auf langen Wegen wohin-auch-immer verbringen. Immer wenn wir in der Stadt sind, habe ich sogar das Gefühl, dass sie davon latent gestresst sind - vom Lärm, der Fülle und meine Mittlere verzweifelt am Müll auf den Straßen.
Klar, noch ist niemand von meinen drei Kindern ein ausgewachsener Teen. Ich nehme an, dass die kommenden Jahre noch einiges an Herausforderungen zu bieten haben, die weit über Mama-Taxi-Fahrten-Nerv hinausgehen. Dass sie irgendwann ziemlich die Schnauze voll haben werden vom Leben gleich hinterm Deich. Sie werden die Stadt lieben lernen mit all ihren Verheißungen. Und vielleicht werde ich es dann vermissen, sie nicht mehr durch die Gegend zu karren, weil sie bei Freunden auf der Couch pennen und überhaupt viel lieber woanders sind als zu Hause, wo so wenig gebacken ist. Aber das ist ein anderes Thema. Für ein anderes Mal. Und vielleicht gehe ich dann ja wieder ein wenig häufiger spazieren und genieße die Ruhe und Schönheit der Natur…
Verratet ihr mir noch, ob ihr Team Land oder Stadt seid…? Und ob sich eure Haltung dazu im Laufe der Familienjahre verändert hat?
Wir sind raus aufs Land
Und hier gibt es keine Busse
Und die Landluft macht uns so frei
Und ich liebe Autofahren
Und du liebst inzwischen Kai
Ist es das was du immer wolltest, was dir immer so stank?
In unserer Zwei-Zimmerwohnung, meintest du das mit raus aufs Land?
Die Höchste Eisenbahn, “Raus aufs Land”
Fünf Dinge, die mich happy gemacht haben
Dass ich mit Katia.schreibt mein erstes Geld verdient habe: Dass mir manche von euch ihre Wertschätzung für meine Texte auch via Paypal gezeigt haben. Es hat mich ehrlicherweise ziemlich umgehauen, dass das auf freiwilliger Spenden-Basis funktioniert hat. Und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn sich das etabliert. Dafür habe ich mir allerdings folgendes überlegt: Ich werde den Paypal-Button nur einmal im Monat in die Kolumne einbauen, damit sich meine Bitte nicht abnutzt. Dann zahlt ihr einen Beitrag eurer Wahl wie für ein kleines Abo - und nur, wenn ihr wollt. Ihr würdet mich natürlich sehr, sehr glücklich machen. Aber - hey - no pressure…
Schöne Dinge anschieben: Ich befülle gerade fleißig unseren Vorfreude-Kalender: Paar-Auszeit an der Nordsee, Theaterbesuch mit neuen Freunden, das erste Erwachsenen-Konzert mit Kind und Day-Spa mit einer Uralt-Freundin. Tut so gut, sich auf Dinge freuen zu können! Natürlich immer in der Hoffnung, dass nicht ein Virusinfekt dazwischen grätscht…
Morgens in der Rushhour zwischen Brotdosen-Punk und Schulbeginn entspannte Musik hören - ist ein Gamechanger! Ich habe gerade wieder Arlo Parks entdeckt und dank Spotify-Autoplay gleich noch neu Lianne Le Havas. Macht eine so schön relaxte Grundstimmung, die auf alle abfärbt. Like!
Der hinreißend-verschrobene Coming-of-Age-Film “My old ass”: Was, wenn du als 18-Jährige während eines Pilz-Trips dein älteres Ich triffst - und gute Ratschläge für dein Leben bekämst…? Schön schräge Story mit ganz viel Herz über diesen einen Sommer, der dein Leben für immer prägen wird - welche Entscheidung du auch triffst. Allein die Dialoge zwischen Teen-Elliot und ihrer 39-jährigen Version lohnen den Film. Hier geht’s zum Trailer. Auf Amazon Prime.
Meine Routinen: Weil sie mir Halt geben in einer Zeit, in der gerade auf so vielen Ebenen Ungewissheit herrscht. Morgens eine Runde Pilates mit den Tutorials dieser tollen Trainerin. Mittags etwas Vernünftiges essen - habe gerade viel die fixen Rezepte dieses Insta-Accounts in der Mache. Abends den Kindern vorlesen - mit dem Jüngsten bin ich just wieder bei “Wir Kinder aus dem Möwenweg” angelangt. Super für Sechsjährige (und selbst die Neunjährige hört noch mal mit).
That’s it. Freue mich immer noch und immer wieder darüber, wenn ihr in den Kommentaren mit mir ins Gespräch kommt - zusammen ist man weniger allein. Schreibt mir gern, was euch zu meinen aktuellen Themen durch den Kopf geht, was ihr euch wünscht, was ihr vielleicht vermisst.
Alles Liebe, bis nächsten Samstag,
Katia
P.S.: Wenn ihr unten auf das Herz klickt, geht meines so richtig auf und ganz nebenbei helft ihr damit auch noch anderen, meine Texte zu finden. Mille Mercis!
Liebe Katia,
Ich wuchs in einem schwäbischen Dorf mit ca. 5.000 Menschen auf, aber es fuhr stündlich ein Zug, der mich zum Gymnasium brachte. Während des Studiums konnte ich zuhause wohnen und pendeln gehörte zu meinem Leben, genauso wie Katzen. Berufsbedingt zog ich dann weg, südlich von München. Natürlich überlegte ich mir immer wieder, raus aus der Kleinstadt und rein ins Großstadtleben, hatte mich aber dann bewusst dagegen entschieden. Zumindest war die Parkplatzsuche nie ein Problem und die Katzen hatten ungehinderten Freigang.
In Zeiten der Familiengründung zog ich dann in ein noch kleineres Dorf mit 800 Einwohnenden und fand das super, da der Kindergarten und die Grundschule sogar eine Ganztagsbetreuung boten. Ich war zwar immer ein Landei, aber im tiefsten Oberbayern lauern noch ganz andere Herausforderungen auf einen und als nicht sonderlich traditionsorientierter Mensch kann ich mich mittlerweile gegen einiges erfolgreich wehren.
Für meine Kinder war das Landleben selbstverständlich und natürlich war es auch schön, in 3 Minuten mit dem Fahrrad am Bolzplatz zu sein oder per Fuß zur Freundin zu gehen. Doch nun sind sie 17 und 15, gehen aufs Gymnasium und sind bei jeder Fahrt auf den Bus oder mich angewiesen. Die Sportangebote finden mittlerweile außerhalb des Dorfes statt und auch der Freundeskreis hat sich erweitert, was ich alles sehr gut finde. Am Wochenende fahren keine Busse, dafür ich um so mehr. Manchmal ist er nervig, vor allem wenn ich mir am Samstag um 23.30 Uhr den Wecker stellen muss, um meine Tochter von einer Veranstaltung abzuholen, gleichzeitig genieße ich auch die gemeinsame Zeit im Auto, da ich festgestellt habe, dass wir dann ganz gute Gespräche miteinander führen.
Meine Tochter wird im Februar 18 und das wird einiges verändern und ich muss gerade an Deinen Artikel "die vielen letzten Male" denken und werde wehmütig.
Für meine beiden Kinder ist aber klar, dass sie raus aus dem Dorf wollen und zumindest meine Tochter möchte später in eine Großstadt ziehen, was vermutlich durch das angestrebte Studium von alleine passieren wird.
Mein Mann und ich bleiben auf dem Land. Mittlerweile haben wir einen großen Hund und 4 Katzen und nach einem anstrengenden Bürotag bin ich froh, schnell in der Natur zu sein und meine Ruhe zu haben. Und wenn ich in ein paar Jahren Sehnsucht nach meinen Kindern habe, kann ich sie ja dann in der Stadt besuchen ;-)
Liebe Grüße Andrea
Ich bin selbst auf dem Dorf groß geworden. Habe dann meine "wilden Jahre" (Studium und die ersten paar Jahre arbeiten) in der Stadt gelebt. War eine sehr tolle Zeit aber als das Thema Familiengründung anstand waren mein Mann und ich uns einig, dass wir wieder aufs Dorf nach Hause wollen. Und bisher haben wir es nicht bereut. Auch weil wir beide hier groß geworden sind, viele der alten Freunde gleichzeitig wieder zurück gekommen sind und wir hier die Großeltern in der Nähe haben.