Katia.schreibt #18: Warum Demut ein unterschätztes Gefühl ist
Wie ein Krankenhaus-Aufenthalt neue Persepektiven aufs Leben schaffen kann
Ich weiß, dass ich in den vergangenen Wochen und Monaten nicht unbedingt vor guter Laune gestrotzt habe. Dass ich mir oft selbst leidgetan habe, weil alles gerade so zäh ist: der Flow, das Leben, die Struggles, die man in dessen Mitte eben so hat. Gedanklich war ich schnell dabei, mich in einem Dauer-Down-Zustand einzurichten, weil die paar positiven Ausreißer irgendwie nicht so ins Gewicht fallen, wie all der restliche Mist, mit dem man sich lieber nicht beschäftigen will, der einem aber dennoch provokativ auf der Nase rumturnt.
Manchmal wartet ein Umdenken ja an den seltsamsten Orten. Ein Kinderkrankenhaus ist so ein Ort. Der Aufenthalt war geplant, wenn auch nicht ersehnt. Aber jedenfalls nichts akut Furchtbares, das das Schicksal über uns gekippt hätte wie einen Eimer dreckiges Wischwasser. Krankenhaus ist dennoch immer ätzend, die Stunden dehnen sich wie Kaugummi, dauernd piept und alarmt es irgendwo. Man ist gleichzeitig gestresst und wie gelähmt von dieser Fremdbestimmung aus Untersuchungen, Visiten und Warten auf Mahlzeiten, die so erstaunlich mies sind, das man sich jedes Mal wieder fragt, warum an solchen Orten der unbestreitbare Zusammenhang von Ernährung und Genesung noch nicht angekommen ist.
Man hat demnach viel unproduktive Zeit, die es rumzubringen gilt - und die man mit Gedankenspielen über andere Schicksale verbringen kann. Und das ist eine Übung in Demut - halleluja! Es begann mit der Begegnung unserer Zimmernachbarin. Ein Mädchen in den Anfängen ihrer Pubertät - und dem Gemüt eines Kleinkindes. Ein Gendefekt, erklärte uns die Mutter, wie viel Zeit im Leben ihres Kindes sie schon in Krankenhäusern verbracht hätte, sie könne es nicht mehr zählen. Jedenfalls seien sie und ihr Mann Klinik-Profis, weswegen sie auch immer einen portablen Kühlschrank mitr dabei hätten - nicht wundern, der surre ein wenig laut.
Das Mädchen selbst konnte nicht sprechen, stieß immer nur unverständluches Gerbabbel und lautes Geheule aus, weswegen meine Tochter und ich bald diskret das Zimmer verließen, weil es sie so stresste. Und mich ehrlicherweise auch.
Mein Kind spielte danach mit Lego und ich was-wäre-wenn-Gedankenspiele: Was-wäre-wenn meine Kinder nicht gesund zur Welt gekommen wären? Wenn während der Schwangerschaft oder unter der Geburt irgendwelche Komplikationen aufgetreten wären, die aus mir und uns als Familie auch Krankenhaus-Profis gemacht hätten? Immerhin war ich aus medizinischer Sicht gesehen drei Mal risikoschwanger, weil ich mein erstes Kind mit 35 und das dritte mit 41 Jahren bekommen habe. Wie anders mein und unser Leben verlaufen wäre, wenn ich mich nicht mit dem Load von drei lebhaften, aber kerngesunden Kindern stressen müsste, sondern mit dem Schicksalsschlag eines gehandicapten Kindes?
Dann wären meine Themen, meine Prioritäten ganz andere. Und angesichts dieser Überlegungen schnurrten die meisten meiner Ärgernisse der letzten Zeit zu einem lächerlich kleinen Häuflein Asche zusammen. “Scheißer geht immer” sagen wir manchmal salopp, der Spruch ist ebenso grob wie zutreffend. Das Leben kann ein wirklich mieser Verräter sein, das offenbart sich an Orten wie diesem in aller Schonungslosigkeit.
Umso demütiger bin ich gerade ob der Themen, die ich und wir als Familie alle NICHT haben: Wir haben kein Kind mit einer lebensverkürzenden Diagnose, keines, das im Rollstuhl sitzt, wie das Mädchen, das uns an Tag zwei begegenete - und meine Tochter plötzlich fragte: Wo sind denn ihre Beine? Es hatte keine, wie auch ihre Arme nur Stumpfen waren und das Gesicht verunstaltet von einem Brand, der kaum etwas an ihrem Körper übrig gerlassen hatte, was unversehrt war.
Klar, das ist das krasse Ende einer das-Leben-kann-scheiße-sein-Skala und vielleicht ist es auch ein wenig wie Äpfel mit Birnen vergleichern. Aber es lehrt einen verdammt noch mal Dankbarkeit für all die Dinge, die wir sonst als selbstverständlich nehmen: Gesundheit. Unversehrtheit. Zusammenhalt. So was. Wenn ich manchmal bei meiner Therapeutin über all den Load auslasse, den das Leben zu fünft dennoch bedeutet, das einen erschöpft und auslaugt, dann sagt sie manchmal: “Nennen wir es doch lebendig”. Und das fasst in einem knappen Satz die Essenz eines Lebens zusammen, das im Vergleich zu anderen keine nennenswerten Schwachstellen hat.
Ja, mein Leben ist lebendig, was dennoch heißt, das mir nicht permanent die Sonne aus dem Hintern scheint, dass ich hadere und zweifle, dass der Groove fehlt, die Geduld, das große Geld. Aber es ist ein Leben, das nicht dauernd am Limit ist wie eines mit einem chronisch kranken Kind. Hier im Krankenhaus sieht man die Worst-case-Szenarien, solche, die man sich nicht gestattet hat zu denken, als man den ersten positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt. All diese Eltern hier hatten vermutlich auch mal andere Träume und Pläne für sich und ihre Kinder. Und jetzt müssen sie jeden einzelnen Tag damit fertigwerden, dass es so brutal anders gekommen ist.
So hatten meine Tochter und ich an unserem ersten Abend im Krankenhaus zwar Heimweh und null Bock auf diesen nüchternen Ort, an dem Träume geschreddeert werden. Aber ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so zufrieden war: In einem klapprigen Krankenhausgästebett aneinandergeschmiegt, den Laptop auf den Knien, “Gregs Tagebuch” schauen und After Eight naschen. In dem beruhigenden Wissen, dass dieser Aufenhalt nur ein unbedeutender Abschnitt in ihrem und unserem Leben sein wird, nichts Beherrschendes, sondern etwas Flüchtiges. Wobei: Bei mir haben diese drei Tage doch einen bleiben Eindruck hinterlassen. Ein Gefühl von: Was rege ich mich dauernd über unbedeutenden Mist auf. Ist doch alles fein, so lange wir gesund sind und einander haben. Vielleicht ist das die schlichte Wahrheit eines zufriedenen Lebens.
Demut ist Unverwundbarkeit.
Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin
Fünf Dinge, die mich happy machen
Maybe in another life: Feiert ihr die Vorfreude auf ein neues Buch auch immer so…? Habe vor ein paar Tagen gesehen, dass die wunderbare Taylor Jenkins-Reid (“Daisy Jones & The Six”) einen neuen hat: “Maybe in another life” erzählt die Geschichte von Hannah, die in einer Bar in LA. auf ihre Jugendliebe trifft - und der Roman erzählt von diesem Wendepunkt zwei mögliche Leben parallel. Ich freu mich auf einen Pageturner.
Ted Lasso: Ziemlich late to the party, aber ein zu spät gekündigtes Apple tv+-Abo (via Amazon Prime) verschafft mir gerade noch ein paar Tage Binge-Zeit. Und so habe ich gestern endlich mit der hochgelobten Dramedy losgelegt - was für ein Spaß: Die Geschichte des chronisch optimistischen American Football-Trainers Ted Lasso, der bei einem britischen Fußball-Club angheuert, ist einfach bezaubernd. Und dass, obwohl ich ein absoluter No-Sports-Typ bin, vor allem in Bezug auf Fußball.
Gizmo Varillas: Okay, auch wenn der Typ namentlich klingt, wie eine Kreuzung aus Muppets-Charakter und einer von den Gipsy Kings - musikalisch macht der Spanier einfach die allerschönsten Beach-Sounds für einen entspannten Sommer. Gerade ist sein neues Album “The World in Colour” erschienen und just habe ich gelesen, dass er einen Gig beim diesjährigen Reeperbahn Festival hat, wo ich aus unerfindlichen Gründen noch nie war, aber jetzt habe ich keine Ausrede, weil ich den Typen dringend auf einer Bühne sehen will.
SUP Gäng: Mit dem Chat-Namen erreichte mich vor ein paar Tagen ein Vorgeschmack auf die nahenden besten Monate des Jahres. Denn wer wie wir die Elbe direkt vor der Nase hat, sollte das Beste daraus machen. Und das heißt diesen Sommer: Drei Mädels, drei SUPS und jede Menge schöner Stunden auf dem Wasser. Große Vorfreude. Und wenn ich mich traue, bade ich heute auch schon im Freibad meiner Kindheit an.
The Last Showgirl: Obwohl ich nie wirklich “Baywatch”-Fan war, muss ich bei Pamela Anderson natürlich immer an den roten signature Badeanzug denken. Umso gespannter bin ich auf den Film, der sie als alterndes Showgirl in Las Vegas inszeniert: Gönn ich mir morgen Abend allein in unserem Kleinstadt-Kino um die Ecke - laut den Kritiken eine absolute Indie-Perle, in der Anderson mit knapp 60 als Charakterdarstellerin brillieren soll.
Alles Liebe, habt schöne Ostern, bis nächsten Samstag,
Katia
P.S.: Wenn ihr unten auf das Herz klickt, geht meines so richtig auf und ganz nebenbei helft ihr damit auch noch anderen, meine Texte zu finden. Mille Mercis!
Krankenhaustage rücken all den Rest zurecht, denke ich oft. Gut, dass ihr wieder raus seid, heil seid, unversehrt, liebe Katia! Und zusammen! Genießt die Tage wieder zuhause, die fühlen sich jetzt sicher besonders schön an 🧡
Liebe Katia,
Ich hatte 2013 mit meinem Sohn eine ähnlich Erfahrung im Krankenhaus und kann Deine Erfahrungen nachvollziehen. Damals hatte ich wirklich Angst um das Leben meines Kindes und die Erleichterung und Dankbarkeit, dass alles gut wird, habe ich nie ganz vergessen, wenngleich es im Alltag leider doch oft untergeht.
Liebe Grüße
Andrea